Hessischer Verkehrsspiegel

Fahrer-Fluktuation ANREIZE SCHAFFEN Was jede Fahrerin, jeden Fahrer wohl zuerst interessiert, ist die Höhe des Lohns. Ein No-Go ist die immer noch vorkommende unterschied- liche Bezahlung von Frauen und Männern bei gleicher Qualifikation. Eine gute Bezahlung sollte mit ein Grund sein, dass Fahrerinnen und Fahrer einem Unternehmen treu bleiben. Als zusätzliche Motivation bieten sich Prämien an, zum Beispiel für kraftstoffsparende und unfall- freie Fahrweise. Auch pauschal zu versteuern- de Entgeltbestandteile können ein Anreiz sein, zum Beispiel Mahlzeiten oder Fahrtkosten- zuschüsse. Attraktiv für Mitarbeitende sind zudem Vergünstigungen für beispielsweise Mobilfunkverträge oder Multimediageräte. Familienfreundliche Arbeitszeiten Einen hohen Stellenwert vor allem bei jüngeren Fahrern haben sozial- und familienverträgli- che Arbeits- beziehungsweise Schichtzeiten. „Das kann das Einrichten von Teilzeitarbeit im Verteilerverkehr ebenso beinhalten wie das Ermöglichen von Begegnungsverkehren, dank derer die Fahrerinnen oder Fahrer abends zu Hause bei ihren Familien sein können“, erläutert Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e. V. „Auch können Unterneh- men versuchen, die logistischen Prozesse so zu organisieren, dass mehr Freizeit am Stück für ihre Angestellten herausspringt.“ Pluspunkt Mitspracherecht Wie generell in der Arbeitswelt sind auch in der Logistik ein gutes Betriebsklima und ein täglich gelebtes respektvolles, wertschätzen- des Miteinander auf allen Ebenen gute Voraussetzungen für eine niedrige Fluktuati- onsrate. Chefinnen und Chefs sollten auf die persönlichen Bedürfnisse ihrer Fahrerinnen und Fahrer, wo immer es möglich ist, eingehen und bei Problemen gemeinsam nach Lösungen suchen. Wichtig in diesem Zusammenhang: Gut ist es, wenn Fahrerinnen und Fahrer ein Mitspracherecht vor allem bei der Auswahl eines Fahrzeugs und dessen Ausstattung ha- ben. „Schließlich ist das der Arbeitsplatz, an dem sie viele Tausend Arbeitsstunden absol- vieren“, stellt Engelhardt fest. Ausbildungsbetriebe stehen besser da Erfahrungsgemäß im Vorteil sind übrigens Un- ternehmen, die ausbilden: „Ausbildungsbetriebe sind tendenziell weniger stark von Fahrerman- gel betroffen als andere“, berichtet Engelhardt. Für die Ausbildung des Nachwuchses erhalten Speditionen eine finanzielle Zuwendung vom Staat; Anträge laufen über das Bundesamt für Güterverkehr. Apropos Bildung: Auf dem um- kämpften Markt für Fahrerinnen und Fahrer punkten auch solche Unternehmen, die die Kosten für die gesetzlich vorgeschriebenen Weiterbildungsmodule übernehmen und/oder darüber hinaus Möglichkeiten der Weiterbil- dung bieten, zum Beispiel zum Meister für Kraftverkehr, zum Disponenten oder auch für den Erwerb des Staplerscheins. Sabine Fauth Br ckmann, Tunc Trans und Kreiling sind drei von vielen Unternehmen, die einiges tun, um ihre Fahrer zu halten. Es gibt dar ber hinaus weitere attraktive Anreize, um Fahrer zu akquirieren oder sie dauerhaft im Unternehmen zu beschäftigen. Der HVS hat dazu mit Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des BGL e. V., gesprochen. Bilder: Sven Fajfar, Adobe Stock Das sagt einer der Mitinhaber, Julian Kreiling: Was hat sich in den letzten Jahren in der Branche eklatant verändert? Ich bin seit 8 Jahren in der 6. Generation in unserem Betrieb. Nach meiner Ausbildung zum Bürokaufmann habe ich mich zum Verkehrslei- ter weitergebildet und den Führerschein in der Klasse CE gemacht. Während meiner Zeit bei uns im Unternehmen hat sich bereits einiges geändert – Kosten steigen in jeglicher Hinsicht, die Aufgaben und Dienstleistungen werden immer vielfältiger und auch komplizierter. Die Beschaffung von Neufahrzeugen wird teurer und langwieriger, Liefer- zeitpunkte sind nicht mehr verlässlich. Die Situation für uns als Dispo- nenten, aber auch für die Fahrer wird ebenfalls immer unattraktiver. Dabei spielt die geringe Wertschätzung gerade in der Bevölkerung eine Rolle. Dazu kommen veränderte Vorstellungen und Ansprüche der Be- rufskraftfahrer. Gerade die Jüngeren legen mehr Wert auf Freizeit und Familie – das passt oft nicht mehr zum Berufsalltag eines Fahrers. Wie viele Fahrer beschäftigen Sie aktuell, wie sieht die Altersspanne aus? Der Fuhrpark umfasst insgesamt 37 Fahrzeuge. Beschäftigt sind 35 Fahrer, ausschließlich Männer. Der jüngste Fahrer ist unser Azubi, er ist 18 Jahre alt, der älteste Fahrer ist 63 Jahre. Sie bilden selbst aus, haben Sie damit gute Erfahrungen gemacht? Blei- ben die Fahrer nach ihrer Ausbildung im Betrieb? Insgesamt können wir sagen, dass es zwar hilfreich ist, selbst auszubil- den, aber leider haben die meisten Auszubildenden den Betrieb bereits vor Beendigung der Ausbildung oder mit der Absolvierung der Abschluss- prüfung verlassen. Dabei bieten wir den Azubis die Möglichkeit, die vie- len unterschiedlichen Fahrzeugtypen kennenzulernen und zu fahren. Momentan haben wir zwei junge, engagierte Azubis beschäftigt. Wie lange sind Ihre Fahrer im Unternehmen und was tun Sie, um Ihre Mitarbeiter möglichst langfristig zu binden? Wir versuchen, die Fluktuation möglichst gering zu halten, denn unser Ziel ist es, die Mitarbeiter ins Unternehmen mit einzubeziehen und sie damit lange an uns zu binden. Die Fahrer haben ihre eigenen Lkw und ein gewisses Mitspracherecht, wenn es um die Ausstattung und Wahl von Neufahrzeugen geht. Da wir noch eine gesunde Unternehmens- größe besitzen, sind wir auch bestrebt, ein offenes Ohr für Probleme zu haben und auch in privaten Angelegenheiten zu unterstützen. Bei uns sind die Fahrer keine Nummer, sondern hinter jedem Steuer sitzt ein Mensch, dem wir auf Augenhöhe begegnen. Einmal im Jahr veranstal- ten wir ein großes Firmenfest. Das findet 2022 endlich wieder statt. Wie bezeichnen Sie die Atmosphäre in Ihrem Unternehmen? Bei 35 Fahrern geht es im Alltag auch mal ruppiger zu. Trotzdem würde ich die Atmosphäre noch als recht familiär bezeichnen. Selbst wenn es mal laut wird, sind wir alle bestrebt, danach wieder normal miteinander umzugehen. Blick in die Zukunft: Was denken Sie, wie sich die Transport- und Logis- tikbranche aufstellen muss, um nicht in absehbarer Zeit vor dem „Kollaps“ zu stehen? Ich finde, der Zugzwang liegt nicht ausschließlich bei der Branche selbst. Natürlich sind der Umgang, die Entlohnung und Wertschätzung Fragebogen Ludwig Kreiling GmbH & Co. KG, Gießen in einem wahrscheinlich großen Teil der Branche unterdurchschnittlich. Aber seit der Pandemie hat sich da einiges verändert. Dadurch, dass es teilweise Engpässe gab, ist der Stellenwert des Fahrers gestiegen. Das haben auch die Fahrer gespürt und suchen sich ihre Arbeitgeber sehr genau aus. Auch die Gesellschaft sowie die Politik tragen ihre Mit- schuld an der momentanen Situation. Beispielsweise hat der Wegfall der Wehrpflicht einen gewissen Teil an immer wieder nachkommenden Kraftfahrern eliminiert. Gerade weil ich selbst Unternehmer bin, kann ich mir das eigentlich nicht wünschen, aber vielleicht wäre es nicht ver- kehrt, wenn ein Kollaps eintreten würde. Dann würde sich das Be- wusstsein vieler verändern und es würde etwas passieren. Das sagt ein Fahrer: Daniel Groß hat bereits in verschiedenen Branchen gearbeitet, seit Oktober 2020 arbeitet er als Berufskraftfahrer bei Kreiling. Was gefällt Ihnen bei Ihrem Arbeitgeber besonders gut? Fahrzeuge werden zügig repariert beziehungsweise instandgehalten. Lohn ist immer überpünktlich da. Man wird noch als eigene Persönlich- keit wahrgenommen. Private oder persönliche Probleme kann man an- sprechen und es wird dann versucht, gemeinsam eine Lösung zu finden. Warum haben Sie diesen Beruf gewählt? Haben Sie eine Empfehlung an den Nachwuchs? Durch Freunde und Bekannte bin ich auf diesen Beruf aufmerksam ge- worden. Nach ein paar Gesprächen habe ich mich dazu entschieden, den Führerschein CE und die beschleunigte Grundqualifikation zu ma- chen. Meine Empfehlung an den Nachwuchs: An erster Stelle muss man Spaß am Fahren haben. Mir gefällt das Gefühl von Freiheit und dass mir nicht dauernd jemand über die Schulter schaut. Natürlich ist man angestellt und hat seine Aufgaben zu erledigen. Trotzdem ist man auch irgendwie sein „eigener Chef“. Stichwort Fahrermangel – was, denken Sie, sollten Politiker oder auch Arbeitgeber tun, um mehr Anreize für Berufskraftfahrer zu schaffen? Das Berufsbild transparenter gestalten? Abschreckend sind für viele die hohen Kosten für die Ausbildung beziehungsweise für den Führerschein und die Grundqualifikation. Auch, dass sich der Beruf so schlecht mit ei- ner Familie vereinbaren lässt, hindert sicher viele daran, als Berufskraft- fahrer zu arbeiten. Das könnte vielleicht besser geregelt werden. Oben: Daniel Groß, Berufskraftfahrer bei Ludwig Kreiling GmbH & Co. KG Rechts: einer der Mitinhaber der 6. Generation: Julian Kreiling Hessischer Verkehrsspiegel 03/2022       17 16       Hessischer Verkehrsspiegel 03/2022 TITELTHEMA

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