Hessischer Verkehrsspiegel
20 Hessischer Verkehrsspiegel 04/2022 RECHT & SICHERHEIT erstellte Lohnabrechnung in den Machtbereich des Arbeit- nehmers zu verbringen. Besitzt der Arbeitnehmer keine dienstliche E-Mail- adresse, so kann ein Zugang einer elektronischen Erklärung, die der Textformerfordernis genügt, nach nahezu einhelliger Ansicht im Schrifttum nur dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer sich mit dem Empfang elektroni- scher Erklärungen ausdrücklich oder konkludent einverstan- den erklärt hat, was vorliegend nicht der Fall war. Übliche Form Die Berufung des Arbeitnehmers auf den erforderlichen Zu- gang der in Textform zu erteilenden Lohnabrechnung war entgegen der Rechtsansicht der Arbeitgeberin auch nicht rechtsmissbräuchlich. Das LAG hat der Arbeitgeberin gegenüber zwar zugege- ben, dass angesichts der zwischenzeitlichen technischen Entwicklung Erklärungen in elektronischer Form üblich ge- worden sind und das Abrufen von Lohnabrechnungen unter Verwendung eines Passwortes auf dem Online-Portal der Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer zum einen ohne weiteres möglich gewesen wäre, zum anderen die Einführung der elektronischen Lohnabrechnungen der Vereinfachung der betrieblichen Abläufe und Vermeidung von Papier dient. Daraus war jedoch weder eine Zugangsvereitelung noch ein sonstiges rechtsmissbräuchliches Verhalten des Arbeit- nehmers abzuleiten. Nach Auffassung des LAGs hatte er lediglich die von der Arbeitgeberin gewünschte Mitwir- kung bei der ihr obliegenden Verp ichtung der Erteilung der Lohnabrechnung unterlassen und die für ihn bereitge- stellte Lohnabrechnung aus einer nicht von ihm gewählten „Empfangsvorrichtung“ nicht abgeholt. Durch das bloße Bereitstellen einer elektronischen Erklärung gelangt diese jedoch noch nicht in den Machtbereich des Empfängers. Vielmehr ist insofern noch eine aktive Mitwirkung des Arbeitnehmers erforderlich, in dem er den Ort, an dem sich der Online-Zugang be ndet, aufsucht und die Lohnabrech- nung unter Verwendung seines Passwortes dann abruft und ausdruckt. Nach der bestehenden Regelung des § 108 GewO besteht jedoch ein Anspruch auf die Erteilung der Lohnabrechnung, nicht lediglich auf deren Bereitstellung verbunden mit einer aktiven Tätigkeit des Arbeitneh- mers, die Lohnabrechnung in einer von der Arbeitgeberin bereitgestellten „Vorrichtung“ abzuholen, sodass die Berufung auf die Erfüllung eines Anspruchs in der nach der bisherigen Gesetzeslage bestehenden Form allein keinen Rechtsmissbrauch begründen kann. Aus alldem folgt, dass die Berufung der Arbeitgeberin zurückzuweisen war. Für die Praxis: Wie so oft scheiterte es am Zugang. Aber warum ist die korrekte Erstellung und Übersendung einer Lohnabrech- nung auch für den Arbeitgeber so wichtig? Wird gegen § 108 GewO verstoßen, so besteht seitens des Arbeitnehmers ein Erfüllungsanspruch. Weiterhin kommen seinerseits sowohl ein Zurückbehaltungsrecht hinsicht- lich seiner Arbeitsleistung (§ 273 Abs. 1 BGB) als auch ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB in Betracht (z. B. wenn dieser aufgrund der Nichtaushändigung der Arbeitsentgeltsabrechnung ein zinsgünstiges Darlehen von der Bank nicht erhält). Praktische Bedeutung hat ein Verstoß gegen die Ab- rechnungsp icht jedoch vor allem für den Lauf (tari icher) Verfallsfristen. So kann sich der Arbeitgeber nach Treu und Glauben nicht auf eine Verkürzung oder Versäumung einer (tari ichen) Ausschlussfrist durch den Arbeitnehmer berufen, solange er schuldhaft eine Abrechnung verzögert, ohne die der Arbeitnehmer seine Ansprüche nicht er- kennen und erheben kann. Das bedeutet: Der Arbeitgeber hat erst nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren Rechtssicherheit über möglicherweise noch bestehende Ansprüche seitens des Arbeitnehmers. 21 Hessischer Verkehrsspiegel 04/2022 Bilder: Shutterstock, privat Zur Person: Michael Schürmann , 57 Jahre alt, ist seit 2005 Senior Consultant der compertis Beratungsgesellschaft für betriebliches Vor- sorgemanagement mbH in Wiesbaden. E-Mail: michael.schuermann@compertis.de V iele mittelständische Unter- nehmen klagen über steigende Pensionsverp ichtungen, die in der Vergangenheit durch Pensionszusagen an ehemalige Geschäftsführer oder Führungskräfte entstan- den sind. Die betroffenen Mitarbeiter sind oft schon lange im Ruhestand, was bleibt, sind die Rückstellungen in der Bilanz. Die Höhe der Rückstellungen wird stark durch den Rechnungszins beein usst. Darum sind in den letzten Jahren die Handelsbilanz- Rückstellungen wegen der gefallenen Zinsen stark gestiegen. Das hat vielen Unterneh- men große Probleme bereitet. Im Licht der aktuellen, hoch volatilen Zinssituation können wir noch nicht abschätzen, ob sich der Trend fortsetzen, stabilisieren oder umkehren wird. Eines ist aber klar: Kein Unternehmer möchte, dass seine Bilanz und damit sein Jahres- abschluss durch den extern gesteuerten Rechnungszins massiv beein usst wird, denn die Unternehmensplanung wird dadurch deut- lich erschwert. Laut Michael Schürmann, Senior Con- sultant der compertis Beratungsgesellschaft mbH in Wiesbaden, gibt es für Unternehmen diese vier Optionen, um die Herausforderung „Pensionsrückstellungen“ anzugehen: • Die Pensionsverbindlichkeiten können im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften abge- funden werden. Das heißt, der Betroffene erhält eine bestimmte Summe und die Ver- bindlichkeiten sind damit abgegolten. Wenn dies möglich ist, ist diese Option meist die preiswerteste Alternative. Aber auch dabei sollte sich das Unternehmen Unterstützung von Experten holen, um arbeits- und steuer- rechtliche Probleme auszuschließen. • Die Pensionsanwartschaften können auf eine andere Leistungsart, zum Beispiel Ka- pital statt Rente, mit oder ohne Teilverzicht durch den Betroffenen, umgestellt werden, um die Rückstellungen zu reduzieren. • Die dritte Option ist die Auslagerung der Verbindlichkeiten auf eine Versicherung. Diese Option ist in der Regel die teuerste, da damit das Unternehmen auch seine Haftung los ist. • Auch mit einem Investment-Produkt, zum Beispiel einem chancenorientierten Pensionsfonds, kann die Rückstellung aus der Bilanz entfernt werden. So wird auch die zukünftige Besteuerung von Schein- gewinnen beendet. Hier wird im Vergleich zu der Versicherungslösung mit anderen Zinssätzen gerechnet. Das erfordert einen deutlich geringeren Kapitaleinsatz, jedoch ist das Unternehmen nicht haftungsbefreit. „Um das Thema Pensionsrückstellungen anzugehen, gibt es wie aufgezeigt einige Op- tionen. Dazu zählen auch Versicherungen und Fonds, aber eben nicht nur diese“, informiert Michael Schürmann. Wichtig sei ein fach- kundiger Berater, der alle Optionen im Blick behält, so der Experte. Pensionszusagen ZUSAGEN MIT NACHSPIEL Pensionsrückstellungen bilden in der Unternehmensbilanz als Fremdkapital- position die Verp ichtung gegenüber dem Anwärter bzw. dem Pensionär ab. Jede Rückstellungserhöhung hat eine Auf- wandsbuchung als Grundlage. Das belastet das Betriebsergebnis. Ist die Rückstel- lungserhöhung im Steuerrecht kleiner als im Handelsrecht spricht man von der Besteuerung von Scheingewinnen. Für viele Unternehmen werden hohe Pensionszusagen und damit Pensionsrückstellungen zum Problem. Aber es gibt Möglichkeiten, die teuren Verp ichtungen loszuwerden oder zu verringern.
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