Hessischer Verkehrsspiegel

24 Hessischer Verkehrsspiegel 04/2022 RECHT & SICHERHEIT Laut dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG) lag die Anzahl von Ladungsdiebstählen deutschlandweit bereits vor sieben Jahren in einem vierstelligen Bereich – wie sehen die aktuellen Zahlen aus? Über die deutschlandweiten Zahlen kann ich keine Aus- kunft geben. In Hessen sind die Fälle stark rückläu g und zum Glück noch lange nicht wieder auf dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Im Jahr 2021 verzeichneten wir in Hes- sen 50 Fälle mit Planenschlitzen. In Westhessen hatten wir in diesem Jahr bisher noch gar keinen Fall. Allerdings ist die Datenlage in diesem Deliktsfeld auch schwierig, da diese Art von Kriminali- tät nicht als eigenständiges Phänomen erfasst wird. Werden denn alle Vorfälle gemeldet? Leider ist die Dunkelziffer beim Planenschlitzen recht hoch. Viele Taten werden nicht angezeigt, insbesonde- re, wenn nach dem Aufschlit- zen der Planen nichts weiter entwendet wurde, wird oft von Anzeigen abgesehen. Dies liegt sicher meist am Zeitdruck der Transportbran- che. Viele verzichten aber womöglich auch auf eine Anzeigenerstattung, weil sie Imageschäden befürchten. Weitere Gründe für einen Verzicht auf eine Anzeige sind fehlende Versicherungen. Wie sieht die Vorgehensweise der Diebe aus? Arbeiten sie mit einem weiteren Fahrzeug, in das sie die Ladung umladen? Gibt es spezielles Werkzeug? Die Diebe sind meist in Banden unterwegs. Einer sucht nach lukrativen Lkw oder Au iegern und checkt oft mit einem kleinen Sichtungsschnitt die Ladung. Wenn es sich lohnt, werden weitere Diebe nachgeordert. Einige Diebe nutzen Endoskop-Kameras, andere machen einfach größere Sichelschnitte in die Planen und haben so einen freien Blick auf die Ware. Wenn nur Kleinigkeiten geklaut werden, wird auch der Schnitt in der Plane zum Stehlen genutzt. Oft brechen die Diebe aber die Heckklappen kom- plett auf und räumen im Anschluss die gesamte Lade äche leer. Die Ladung wird danach schnell auf den eigenen Transporter oder Lkw umgeladen. Was bedeutet in diesem Zusammenhang „minimal- invasiv“? Wie bereits bei der vorherigen Frage erklärt setzen die sogenannten Späher Endoskop-Kameras ein, dabei können sie bereits mit einem minimalen Schnitt die Ladung über- prüfen. Geeignete Endoskop-Kameras gibt es mittlerweile günstig in jedem Baumarkt. Durch diese extrem kleinen Schnitte fallen die Täter nicht so schnell auf. Außerdem ist es so unverfänglicher, wenn ein Fremder am Au ieger steht und man nicht direkt eine Beschädigung an der Plane entdeckt. Besonders nachts fallen den Fahrern solche Schnitte an einer Plane eher nicht auf. Welche Lkw, welche Ladungen sind besonders häu g „Opfer“? Alles, was leicht umzuladen und schnell zu Geld zu machen ist, wird gestohlen. Am beliebtesten scheinen Elektroarti- kel zu sein. Schwere Ladung oder Teile, mit denen auf den ersten Blick nichts angefangen werden kann, werden von den Banden eher vernachlässigt. Gibt es besondere Gegenden in Hessen, in denen häu ger als in anderen solche Vorfälle bekannt werden? Natürlich sind die Raststätten an den Bundesstraßen oder Bundesautobahnen beliebt bei den Dieben. Man ist ano- nym, es gibt eine Geräuschkulisse, die ein Umräumen der Ladung erleichtert und man ist schnell ge ohen. Aber auch verlassene Gewerbegebiete in der Nacht werden natürlich von solchen Banden genutzt. Besonders beliebt sind bei den Banden die Durchgangsautobahnen A3, A4 und A7. Wie sieht Ihr genaues Vorgehen aus, wenn ein Fall von Planenschlitzen gemeldet wird? Leider werden die meisten Fälle erst gemeldet, wenn die Täter schon lang verschwunden sind. So bleibt nur noch die Anzeigenaufnahme, Überprüfung der umstehenden Lkw nach möglichen weiteren Opfern und die Sicherung der Spuren. Wenn nun ein aktueller Fall rechtzeitig gemeldet wird, rückt die Polizei mit mehreren Streifenwagen an und versucht die Täter festzunehmen und die Fluchtwege abzu- schneiden. Es gibt weitere Ermittlungsmöglichkeiten, die auch im Nachhinein noch greifen können, diese möchte ich aber an dieser Stelle nicht erklären. Erfolgsquote: In wie viel Prozent der gemeldeten Fälle werden Täter gefasst? Kann die Ware in den meisten Fällen sichergestellt werden? Das kann ich nicht pauschal beantworten. Auch hier verhindert die Datenlage eine konkrete Aussage. Aber die Planenschlitzen WACHSAM BLEIBEN Viele Unternehmer kennen das Problem: Der Lkw war über die Nacht nicht ausreichend bewacht oder parkte auf einem ungesicherten Gelände. Das Ergebnis: Die Plane ist beschädigt oder wurde geschlitzt, die Ladung gestohlen. Der HVS hat Christian Wiepen, Polizeihauptkommissar des Polizeipräsidiums Westhessen, zum Thema Planenschlitzen befragt. Christian Wiepen, Polizeihauptkommissar des Polizeipräsidiums Westhessen 25 Hessischer Verkehrsspiegel 04/2022 Bilder: Shutterstock, privat Erfolgsquote schwankt beim Ermitteln der Planenschlitzer. Wenn eine Tätergruppe gefasst wird, können infolge oft mehrere Taten aufgeklärt werden. Welche Strafen drohen den Tätern? Die Fälle werden meist als „schwerer Bandendiebstahl“ angezeigt. Hier droht bei Verurteilung eine Gefängnisstrafe von einem bis zu zehn Jahren. Können Sie dem HVS die skurrilsten Fälle in diesem Zusammenhang nennen, die Sie erlebt haben? Wirklich skurril war es nie, eher erschreckend. Er- schreckend zu sehen, wie skrupellos die Diebe auf einer Raststätte Unmengen von Planen zerstört haben, nur um die Ladung zu begutachten. Das waren teilweise riesige Schäden ohne einen einzigen Diebstahl. Schön war es natürlich, wenn Täter festgenommen werden konnten – sei es durch eigene Beobachtungen der Polizei oder durch rechtzeitige Anrufe von Fahrern. Meist ist es der erste Impuls, die Täter zu vertreiben. Besser ist es hingegen, Ruhe zu bewahren und verdeckt die 110 anzurufen. So ist die Wahrscheinlichkeit einer Festnahme viel höher. Geben Sie den Unternehmen Tipps für ihre Fahrer, wie sie sich schützen können? Was soll ein Fahrer tun, der bemerkt, dass er gerade bestohlen wird? Die Konfrontation mit dem Täter suchen? Planen Sie Ihre Touren sorgfältig. Sollte Ware transportiert werden, die bei Dieben beliebt ist, lohnt es sich, die Sattel- züge oder Lkw gesichert abzustellen. Hier bietet sich der Hof einer befreundeten Spedition an. Kann die Pause nur auf einem Rasthof gemacht werden, lohnt es sich immer, sich mit den Fahrern der umstehenden Lkw abzusprechen. Falls man noch die Wahl hat, sind Parkplätze, die näher an der Tankstelle oder der Raststätte liegen, zu bevorzugen. Es kann auch sinnvoll sein, die Ware im Lkw gesondert abzudecken, sodass das Interesse der Diebe nicht direkt geweckt wird. Zudem könnte die Investition in einen Sensor, der das Öffnen der Heckklappen anzeigt, emp- fehlenswert sein. Wichtig ist natürlich auch, was vor einem Diebstahl getan werden kann. Bei den zahlreichen Fernfahrer- stammtischen in Deutschland informiert die Polizei auch über den Ladungs- diebstahl. | ms Tipps für Unternehmer: Setzen Sie je nach Art der Ladung und der Stre- cke das passende Fahrzeug mit entsprechenden Sicherungssystemen ein. Schützen Sie vertrauliche Daten im Betrieb. Informieren Sie Ihre Mitarbeiter unmissver- ständlich über die Einhaltung von Sicherheits- standards. Nehmen Sie eine Sicherheitseinstufung Ihrer Mitarbeiter vor. (Nicht jeder darf jedes Gut fahren). Seien Sie vorsichtig gegenüber neuen Sub- unternehmern. Seien Sie vorsichtig, wenn das Verhältnis zwi- schen Ladung, Strecke und Preis nicht stimmt. Fordern Sie die konsequente Einhaltung von Si- cherheitsstandards auch bei Subunternehmern. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Sub- unternehmer nur über kostenlose E-Mail-An- schriften und ausschließlich nur über Mobil- Telefon erreichbar sind. Tipps für Fahrer: Sprechen Sie während Fahrtunterbrechungen niemals mit Fremden über Strecke, Ziel und Ladung. Vermeintlich belanglose Gespräche über Transport-Routen und Ladungen können für die „Gegenseite“ wertvolle Informationen sein. Lassen Sie Ihr Fahrzeug nicht unbeaufsichtigt stehen und suchen Sie für Pausen gut beleuch- tete und möglichst bewachte Parkplätze auf. Kontrollieren Sie nach jedem längeren Halt Ihr Fahrzeug und Ihre Ladung. Nehmen Sie unter keinen Umständen Anhalter mit. Vereinbaren Sie mit Ihrer Spedition regelmä- ßige Kontrollmeldungen zu festgelegten Zeiten und an festgelegten Orten. Nehmen Sie bei unvorhergesehenen Abwei- chungen der Fahrtroute oder der Lieferadresse immer Kontakt mit Ihrer Spedition auf. Halten Sie wichtige Rufnummern wie Polizei, Spediteur, Konsulate etc. jederzeit griffbereit. Melden Sie verdächtige Wahrnehmungen sofort an die nächste Polizeidienststelle. Weitere Informationen gibt es auf der Seite www.polizei-beratung.de

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