Hessischer Verkehrsspiegel

26 Hessischer Verkehrsspiegel 04/2022 RUND UM DIE BRANCHE W enn es um die momentanen Heraus- forderungen geht, führen Fahrermangel, Kostenexplosionen nicht nur bei den Kraftstoffen und, ganz aktuell, der AdBlue-Mangel die Liste an. Kein Wunder, dass Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Ent- sorgung (BGL) e. V., die Stimmung in der Branche als „sehr angespannt“ bezeichnet: „Darüber kann auch der jüngst vom Statistischen Bundesamt für das zweite Quartal 2022 gemeldete Anstieg der Frachtpreise um 14 Prozent gegen- über dem Vorjahresquartal nicht hinwegtäuschen.“ Pandemie überstanden Immerhin: Im Unterschied zu anderen Wirtschaftsberei- chen hat die Transport- und Logistikbranche die Corona- Pandemie bisher relativ unbeschadet überstanden. Markus Depping, Geschäftsführer der Erich Depping & Sohn GmbH in Eschborn, konstatiert, dass es der Branche nach seinen Beobachtungen während der Pandemie „nicht schlecht“ gegangen sei. Der gewerbliche Güterkraftverkehr sei sogar im Gegensatz zu manch anderer Branche mit diversen Son- derrechten ausgestattet worden, zum Beispiel Fristverlän- gerungen bei Weiterbildungsabschlüssen. Der BGL stützt diese Einschätzung: Nur wenige Transportunternehmen mussten wegen der Pandemiebedingungen aufgeben. Was in der Pandemie klar geworden ist: Das Straßengütertrans- port-Gewerbe ist für die Menschen und die Wirtschaft in Deutschland systemrelevant. Die Branche hat bewiesen, dass sie auch in schwierigen Zeiten in der Lage und bereit dazu ist, Lieferketten zuverlässig aufrechtzuerhalten. Alternative Kraftstoffe Grund für Betriebsschließungen sieht Engelhardt in einem ganz anderen Bereich: „Aufgrund der bislang fehlenden staatlichen Unterstützung droht vielen Betrieben das Aus, die größere Teile ihres Fuhrparks auf LNG-Fahr- zeuge umgestellt haben – die auf absehbare Zeit einzige Möglichkeit, Lkw-Fernverkehr CO 2 -reduziert zu betreiben.“ Klaus Poppe, Geschäftsführer des Fachverbands Güter- kraftverkehr und Logistik Hessen e. V., untermauert diese Einschätzung: „Der nicht mehr wirtschaftliche Einsatz von LNG-Lkw mit Preisen für Gas von deutlich mehr als fünf Euro pro Kilo zeigt ein politisches Versagen auf. Für die mit Fördergeldern angepriesene umweltfreundliche Antriebs- Zwischentechnologie auf dem Weg zur CO 2 -Neutralität müssen nun die innovativen Unternehmen in der Branche einen sehr hohen Preis bezahlen, bis hin zur Insolvenz. Denn diese Fahrzeuge lassen sich nicht mehr wirtschaftlich betreiben und stellen zusätzlich eine verlorene Investition dar.“ Poppe befürchtet, dass vielen Unternehmen die Lust auf technologische Experimente vergeht; zu sehr seien diese mit einem kaum kalkulierbaren Risiko verbunden. Umdenken ist notwendig Kerstin Seibert, Geschäftsführerin der Spedition Hans Adam Schanz GmbH & Co. KG aus Ober-Ramstadt, hebt als positiven Aspekt der aktuellen Situation hervor, dass Laderaum noch immer knapp sei: „Noch bekommt man am Markt gute Frachten. Viele Lager sind gut gefüllt, und die Ware muss bewegt werden.“ Gleichzeitig gibt sie aber zu bedenken: „Da sich aufgrund der steigenden Energiekosten viele Endempfänger und auch das produzierende Gewerbe in den nächsten Monaten sicher stark zurücknehmen wer- den, um Kosten zu reduzieren, wird das vermutlich nicht mehr lange so bleiben. Dirk Engelhardt sieht Potenzial für ein Umdenken in Richtung strategischer Partnerschaften zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern. So könnten gemeinsame Ef zienzsteigerungen realisiert werden. Mitarbeitenden Mut machen Neben den konkreten, messbaren Schwierigkeiten bringt Markus Depping noch einen anderen Aspekt ins Spiel: „Die drängendste Herausforderung sehe ich aktuell darin, den Mut und die Zuversicht unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern. Wenn die Frage nach der persön- lichen nanziellen Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Versorgung mit Strom und Brennstoff in den Köpfen Raum greift, wird das Arbeitsergebnis wahrscheinlich unter dem erreichbaren Niveau liegen. Dies kann Frust hervorrufen, wenn nicht gar die existenzielle Frage nach dem Sinn des Arbeitens aufkommen lassen.“ Doch so herausfordernd die momentanen Zeiten auch sind: „Der Gütertransport ist unverzichtbares und unver- meidliches Fundament unseres Wohlstandes“. Davon ist Klaus Poppe überzeugt. Mit Blick auf die Verkehrswende stellt er fest: „Der Lkw wird auch im Jahre 2050 der men- genmäßig wichtigste Verkehrsträger sein. Der Schlüssel zum klimaneutralen Güterverkehr liegt in der Dekarbonisie- rung der Energieversorgung des Lkw-Verkehrs.“ Die Transport- und Logistikbranche be ndet sich in einer herausfordernden Marktsituation. Wie ist der Stand der Dinge, und wo drückt der Schuh am meisten? Der HVS hat sich umgehört – ein Stimmungsbild. Krisenjahre WIE GEHT’S DER BRANCHE? Der Gütertransport ist ein unverzichtbares und unvermeidliches Fundament unseres Wohlstandes 27 Hessischer Verkehrsspiegel 04/2022 Bild: Shutterstock Wünsche an die Politik Und wie ist das Verhältnis zur Politik? Schanz-Geschäfts- führerin Kerstin Seibert fühlt sich in mancherlei Hinsicht allein gelassen. „Die Politik sollte sich dringend noch einmal mit den Mineralölkonzernen auseinandersetzen. Es ist unverständlich, wieso der Rohölpreis sinkt, die Preise an den Zapfsäulen aber immer weiter steigen.“ Zudem bemängelt die Unternehmerin, dass es „keinen Masterplan in der Schublade der Regierung gibt. Vieles, was heute passiert, hat sich doch schon vor vielen Jahren angebahnt und wäre auch ohne Corona und ohne Ukraine-Krieg ein Thema“. Und ganz aktuell kritisiert Kerstin Seibert die lange Bearbeitungszeit von Führerscheinanträgen: „Eine große Erleichterung wäre eine vorrangige Bearbeitung der Führerscheinanträge von Berufskraftfahrer-Azubis und Mitarbeitern, die die beschleunigte Grundquali kation erwerben möchten. Ein Bearbeitungszeitraum von einem Jahr, wie wir es zuletzt erlebt haben, ist für eine Branche, in der aktuell bis zu 100.000 Fachkräfte fehlen, absolut kontraproduktiv.“ Mehr Transparenz Prof. Dr. Dirk Engelhardt verweist auf den guten Draht seines Verbandes sowohl zum Bundesministerium für Digitales und Verkehr als auch zum Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Er vermisst allerdings einen Output, der der Intensität der bisher geführten Gespräche entspricht. Was die angestrebte vermehrte Klimafreundlichkeit im Transportwesen angeht, wünscht er sich „endlich mehr Ehrlichkeit seitens der Politik und damit eine bessere Transparenz für die Öffentlichkeit: Es muss deutlich kommuniziert werden, dass im Straßengüterfernverkehr sowohl die (Fahrzeug-)Technik als auch die Tank- bezie- hungsweise Ladeinfrastruktur für alternative Antriebe nicht vor Ende des Jahrzehnts ächendeckend vorhanden sein werden. Demzufolge sind vorher keine dramatischen Ände- rungen beim CO 2 -Ausstoß in diesem Bereich zu erwarten“. Netzwerk der SVG nutzen Die gute Nachricht: Unternehmerinnen und Unternehmer müssen die Schwierigkeiten nicht allein stemmen. Anja Blieder-Hinterlang, Vorstandsvorsitzende des Fach- verbands Güterkraftverkehr und Logistik Hessen und Geschäftsführerin der Blieder-Transporte GmbH & Co. KG in Hüttenberg, weist auf das Unternehmensnetzwerk der SVG-Erfahrungsaustausch-Gruppen (Erfa) hin. Diese Erfa-Gruppen, ein Angebot der SVG Consulting Partners, laden Unternehmerinnen und Unternehmer dazu ein, sich auf Augenhöhe auszutauschen, denn: „Ein Unternehmen voranzubringen, der Motor für neue Ideen zu sein – das ist für Mittelständler nicht immer einfach. Es bedarf oft Lösungen, die nicht dem Standard entsprechen“, stellt Blieder-Hinterlang fest. Solche Lösungen zu nden ist ein elementarer Baustein der 15 Erfa-Gruppen und Arbeitskreise der SVG Consulting Partners. Fachvorträge und Workshops mit renommierten Referentinnen und Referenten informieren über aktuelle Themen und bieten ein Diskussionsforum für den sozialen und fachlichen Austausch der Unternehmens-Community in der Logistik. „Und auch der Fachverband Güterkraftverkehr und Logistik Hessen e. V. bietet Seminare in Zusammen- arbeit mit der SVG für seine Mitgliedsunternehmen zu diversen Themen an“, ergänzt die Vorstandsvorsitzende. | Sabine Fauth

RkJQdWJsaXNoZXIy MzUyNzc=