Hessischer Verkehrsspiegel
SERVICE | Hessischer Verkehrsspiegel 01/2023 22 23 angesammelt wird, entschied das BAG, dass Urlaub bei fortdauernder Arbeitsunfähig- keit 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres verfällt. Diese Grundsätze hat das BAG auch in Fällen angewendet, in denen der Arbeitnehmer eine Rente wegen Erwerbsminderung bezogen hat. Der Verlust des Urlaubsanspruchs bei einer fortbestehen- den Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres entspricht den nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG zu beachtenden schutzwürdi- gen Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers, weil das Interesse des Arbeit- gebers überwiegt, vor dem unbegrenzten Ansammeln von Urlaubsansprüchen zur Ver- meidung organisatorischer Schwierigkeiten bewahrt zu werden, obwohl es dem Arbeit- nehmer nicht möglich war, den Urlaubsan- spruch zu verwirklichen. Damit liegen hier „besondere Umstände“ vor, die ein Erlöschen von Urlaubsansprüchen rechtfertigen. Mitwirkungsobliegenheit im Zu- sammenhang mit Langzeiterkran- kungen: Die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bestehen nach Ansicht des BAGs grundsätzlich auch dann, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist, auch wenn das Ende der Erkrankung nicht abgesehen werden kann. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer dann auffordern, den Urlaub bei Wiedergenesung vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeit- raums zur Vermeidung des Verfalls so recht- zeitig zu beantragen, dass er im laufenden Urlaubsjahr oder im Übertragungszeitraum genommen werden kann. Nichterfüllung der Mitwirkungs- obliegenheiten bei durchgängiger Arbeitsunfähigkeit im Urlaubsjahr und in 15 darauffolgenden Monaten: Allerdings macht das BAG die Befristung des Urlaubsanspruchs bei einem richtlinien- konformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht von der Erfüllung der Mitwirkungsob- liegenheiten abhängig, wenn es – was erst im Nachhinein feststellbar ist – objektiv unmög- lich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisie- ren. War der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig und bestand damit von vornherein keine Möglichkeit, den Urlaubsanspruch zu realisieren, sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeit- gebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal. War ein Arbeitnehmer zum Beispiel vom 1. Januar 2020 bis zum Ablauf des 31. März 2022 arbeitsunfähig erkrankt, verfiele der Urlaubsanspruch für 2020 insgesamt – unab- hängig von der Erfüllung der Mitwirkungs- obliegenheiten durch den Arbeitgeber – mit Ablauf des 31. März 2022. Dies gilt gleicher- maßen für den vertraglichen Mehrurlaub, sofern keine von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Regelung getroffen wurde. Doch was gilt für den Urlaubsan- spruch aus dem Jahr des Krankheits- eintritts? Diese Frage stellte sich in zwei unterschiedlichen Verfahren. Hier machten die Kläger einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für das Urlaubsjahr geltend, in dessen Verlauf sie arbeitsunfähig bzw. voll- ständig erwerbsunfähig wurden. Das BAG legte dem EuGH daraufhin die Frage vor, welcher zwar bestätigte, dass der Urlaub bei Langzeiterkrankung aufgrund besonderer Umstände grundsätzlich nach 15 Monaten verfallen darf. Bei Urlaubsansprüchen, die in dem Bezugszeitraum erworben wurden, in dem ein Arbeitnehmer zum Teil erwerbstätig und zum Teil krankheitsbedingt arbeitsunfä- hig bzw. voll erwerbsgemindert war, bestehe allerdings nicht die Gefahr der negativen Folgen einer unbeschränkten Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub. Damit könne die 15-monatige Beschrän- kung auch nicht auf den bezahlten Urlaubs- anspruch angewendet werden, der im Lauf eines Bezugszeitraums erworben wurde, in dem der Arbeitnehmer noch tatsächlich ge- arbeitet hat, bevor er arbeitsunfähig bzw. voll erwerbsgemindert wurde, ohne dass geprüft wird, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch geltend zu machen. Die Antwort auf die Frage, wie oft und wann der Arbeitgeber über den drohenden Verfall des Urlaubs – insbesondere bei Eintritt einer Krankheit – informieren muss, steht noch aus. Vorsichtige Arbeitgeber können ihre Arbeitnehmer bereits zu Beginn des Urlaubsjahres einmal auf ihre Urlaubsansprü- che hinweisen und deutlich machen, dass der Urlaub genommen werden sollte. Erkrankt ein Arbeitnehmer und zeichnet sich ab, dass diese Krankheit länger dauern könnte, könnte vorsorglich direkt auf bestehende Urlaubsansprüche hingewiesen werden. Der Urlaub müsste genommen werden, wenn der Arbeitnehmer wieder genesen ist und er bis dahin aufgrund der besonderen Verfallsfrist bei Krankheit nicht verfallen ist. Auf jeden Fall sollten Arbeitgeber stets sicherstellen, dass eine entsprechende Doku- mentation der Unterrichtung erfolgt. Diese sollte mindestens drei Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufbewahrt werden. ■ Sebastian Gaubatz Fotos: Shutterstock/ Irina Strelnikova
RkJQdWJsaXNoZXIy MzUyNzc=