Hessischer Verkehrsspiegel

Die große Herausforderung im Projekt KITE war nun die deutlich feingranulare- re Prognose und deren Verknüpfung mit mathematischer Optimierung zur Tourenpla- nung. „Tatsächlich basiert unsere verbesserte Tourenplanung zu etwa 80 Prozent auf der mathematischen Optimierung und zu etwa 20 Prozent auf KI“, sagt Sonnleitner. „Das wird oft falsch eingeschätzt. Um das mal run- terzubrechen: Jeder Disponent hat eine Reihe von Bedingungen im Kopf, die er mitein- beziehen muss. Fahrer X muss am Freitag in Köln sein. Auftrag Y ist zeitkritischer als Auf- trag Z und so weiter. Je mehr Bedingungen auftauchen, desto schwieriger wird es, die optimale Lösung zu finden und desto wich- tiger wird die mathematische Optimierung. Maschinelles Lernen spielt seine Stärken bei der Prognosefähigkeit aus. Denn dann geht es darum, in den historischen Daten Muster zu entdecken, die eine möglichst weitreichende Vorhersage gestatten.“ Investitionen ausbauen Wie drastisch aber fällt der Effekt aus, den KI auf Transport und Logistik haben wird? „Von einer Revolution zu sprechen wäre in meinen Augen übertrieben“, sagt Sonnleit- ner. „Dafür ist die Lücke zwischen Forschung und Unternehmen momentan noch zu groß. Aktuell scheint mir, dass das Investitions- volumen in KI zur Automatisierung von Entscheidungsprozessen deutlich ausbaufähig ist. Deshalb gibt es auf der Unternehmenssei- te meist noch zu wenig Fachkräfte, die es für die Einbindung von KI braucht.“ Denn deren Grundlage sind in jedem Fall saubere Stamm- daten. „Und ohne Kenntnis davon, was sich überhaupt automatisieren lässt, können natürlich auch nicht die richtigen Datensätze gepflegt werden.“ Dennoch, die Entwicklung der Com- puter- und Softwareleistung hat zu einer massiven Steigerung der Lösungsgeschwin- digkeit geführt. „Neu ist zum Beispiel, dass es jetzt möglich ist, aus einer sehr großen Zahl von Datenreihen gleichzeitig zu lernen. KI wird immer wichtiger, gerade auch vor dem Hintergrund der immer komplexeren An- forderungen des Logistikwesens. Fachkräfte- mangel, steigende Maut, Dekarbonisierung – es gibt viele Herausforderungen. Unter- nehmen sind gut beraten, in die moderne Digitalisierung einzusteigen, damit sie nicht irgendwann das Nachsehen haben. Man sollte sich immer vor Augen halten: Entschei- dungsprozesse sind eine ideale Spielwiese der Automatisierung.“ E ine Logistikmesse im Jahr 2020, etwas fachsimpeln am Messestand – so können Forschungsprojekte ihren Anfang nehmen. Zumindest war es so beim Projekt KITE (Künstliche Intelligenz im Transport zur Emissionsreduktion) am Fraunhofer IIS, Arbeitsgruppe für Supply Chain Services. Fraunhofer-Mitarbeiter am Messestand: Benedikt Sonnleitner, der eine Idee mitnahm, am Institut auf offene Ohren stieß und auch den Bund für Fördergelder gewinnen konnte. Sein Ansatz: Lassen sich mit Künstlicher Intelligenz die Auslastung im Straßengüterverkehr verbessern, Leerfahrten vermeiden, damit Kraftstoff sparen und mehr Nachhaltigkeit erreichen? „Für uns war spannend, ob wir die Tou- renplanung mittels KI verbessern können“, so Sonnleitner. „KI muss man sich bei uns aber anders vorstellen als bei Sprachanwendungen wie ChatGPT: Zum einen haben wir deut- lich weniger Daten zum Lernen und zum anderen ist die Verknüpfung zum Touren- planungsalgorithmus, der auf mathematischer Optimierung beruht, zentral.“ Das Problem der Optimierung kennt jeder Disponent: Weil der Lkw sich nicht teilen lässt, können die einzelnen Stationen nur nacheinander angefahren werden. Aber welche Reihenfolge der Anschlusstouren ist die effizienteste? Gefragt ist ein Verfahren, das Transport- volumen auf verschiedenen Prognose-Ebenen vorhersagt. „Also Vorhersagen zu den Kunden, zur Niederlassung und zum Unternehmen in den unterschiedlich großen Zeithorizonten: Tage, Wochen und Monate“, so Sonnleitner. Diese Vorhersagen sollen in der Tourenpla- nung genutzt werden, um gezielt Sendungs- volumen zu konsolidieren. Der Lkw fährt dann beispielsweise einen Knoten im Netzwerk einen Tag früher oder später an. „Zum an- deren versuchen wir, eine Langfristprognose zu entwickeln, die gezielt Stellen zur Netz- optimierung inklusive Akquise neuer Kunden oder Aufbau neuer Hubs identifiziert.“ An der Entwicklung und Pilotierung des Verfahrens sind ein großes sowie ein mittelständisches Speditionsunternehmen beteiligt. Von der Kurzzeit- zur Langzeitprognose KITE vorausgegangen ist das Projekt KIVAS , das die bessere Auslastung im Straßengüter- verkehr mit KI-gestützten Kurzzeitprogno- sen erforschte. Dessen Kernfrage war, wie Nachfrage nach Frachtvolumen vorhergesagt werden kann. Auf ihren prädiktiven Mehr- wert hin untersucht wurde eine Vielzahl an Einflussgrößen: Wettervorhersagen, kalenda- rische Effekte wie Feiertage, Wochenenden und Schulferien, aber auch Konjunktur- und sozioökonomische Daten wie etwa Arbeitslo- sigkeitsstatistiken. Dabei zeigte sich, dass vor allem das Wetter und kalendarische Effekte einen großen Einfluss auf die Kurzzeitpro- gnose der beteiligten Unternehmen haben. Sonnleitner: „ KIVAS konnte nachweisen, dass sich das Frachtvolumen für einzelne Spedi- teure auf Niederlassungsebene prognostizie- ren lässt.“ Mit KI zur besseren Auslastung im Straßengüterverkehr – das hat das Projekt KITE am Fraunhofer IIS in Angri„ genommen. Die kleine Revolution Daten sammeln, deren Relevanz bewerten, Lösungen entwickeln: Digitalisierung und KI sind zentrale Bausteine für die Zukunfts- sicherheit eines Unternehmens Fotos: Shutterstock/TippaPatt, Shutterstock/PeopleImages.com - Yuri A Je mehr Bedingungen auftauchen, desto wich- tiger wird mathematische Optimierung 10 11 SCHWERPUNKT | Hessischer Verkehrsspiegel 03/2023

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